06.02.2015
Verkehrsrecht / Haftung
Die haftungsrechtlichen Themen des diesjährigen Verkehrsgerichtstages waren nicht von hoch kontroversen Diskussionen gekennzeichnet.
Arbeitskreis (AK) III – Neue Promillegrenzen für Radfahrer
Der AK III hat sich u.a. mit deutlicher Mehrheit dafür ausgesprochen, einen Bußgeldtatbestand für Radfahrer zu schaffen, die mit einem Promillegehalt von mindesten 1,1 noch Fahrrad fahren. Diese Empfehlungen dürfte im Einzelfall auch Eingang in die Haftungsquotierung bei einem Unfall mit Beteiligung von Radfahrern finden.
Hierzu passt dann auch ein neuer Beschluss des VGH München vom 17.11.2014 – 11 ZB 14.1755 = BeckRS 2015, 40455. Der VGH bestätigt das Urteil des VG Ansbach. Auch das Sitzen auf einem rollenden Fahrrad stellt ein Führen dieses Fahrrades dar.
Arbeitskreis VI – Alternative Reparaturmethoden
Hierzu passt ein aktuelles Urteil des AG Marburg vom 16.12.2014 – 9 C 759/13. Dort lag das Schadensgutachten über der sog. „130 %-Grenze“. Dem Geschädigten gelang es aber – so das Ergebnis des gerichtlichen Sachverständigengutachtens - unter Verwendung von Gebrauchtteilen den Unfallschaden fachgerecht und vollständig instand zu setzen Der dafür tatsächlich gezahlte Reparaturbetrag lag zwischen 100 % und 130 %. Das AG sprach dem Geschädigten über den vorprozessual gezahlten Totalschadenbetrag die tatsächlich aufgewandten Reparaturkosten zu. Diese Fallgestaltung , dass die Reparatur vollständig und fachgerecht durch Verwendung von Gebrauchteilen erfolgte und dadurch die sog. 130 % - Grenze unterschritten wurde, ist bisher vom BGH noch nicht entschieden worden. Die Argumentation des AG, dass bei der Verwendung von Gebrauchtteilen auch das Alter des Unfallfahrzeuges (im Fall 13 Jahre) berücksichtigt werden muss, ist sachgerecht. Es spricht einiges dafür, dass dies auch die Billigung des BGH gefunden hätte. Zu der Verwendung von Gebrauchtteilen bei der Reparatur vgl. auch BGH VI ZR 35/10; VI ZR 30/11. Maßgebend ist aber, ob die Reparatur fachgerecht und vollständig erfolgt ist. Mit einer sog. Billigreparatur wäre es im Fall des AG bei der Regulierung auf Totalschadensbasis verblieben.
Arbeitskreis VII – Anscheinsbeweis im Verkehrsrecht
Der AK VII bestätigt mit seinen Empfehlungen die Rechtsprechung zum Anscheinsbeweis. Deshalb geben die Thesen die Anwendung des Anscheinsbeweises in der forensischen Praxis wieder:
Der von der Rechtsprechung entwickelte Anscheinsbeweis, der es erlaubt, bei typischen Geschehensabläufen auf Kausalität oder Verschulden zu schließen, ist für die Beweisführung in Verkehrsunfallsachen unverzichtbar. Einer gesetzlichen Regelung bedarf es nicht.
Allerdings sind vor seiner Anwendung alle Aufklärungsmöglichkeiten auszuschöpfen.
Ob ein typischer Geschehensablauf vorliegt, bestimmt sich nach allgemeinem Erfahrungswissen und nicht nach einer individuellen Lebenserfahrung. Der zugrunde gelegte Erfahrungssatz muss hinreichend tragfähig sein; er muss eine hohe Wahrscheinlichkeit für einen bestimmten Geschehensablauf begründen. Dabei sind sämtliche Umstände des Falles zu berücksichtigen.
Bei Massenunfällen gerät der Anscheinsbeweis häufig an seine Grenzen. Der Arbeitskreis begrüßt deshalb die Absicht der Versicherungswirtschaft, die bestehende freiwillige Regulierungspraxis auch auf solche Fälle zu erstrecken, in denen weniger als 50 Fahrzeuge beteiligt sind.
Der BGH hat zu der Anwendung des Anscheinsbeweis und seiner Grenzen instruktiv in seinem Urteil vom 13.12.2011 – VI ZR 177/10 (Auffahrunfall und Spurwechsler auf Autobahn) Stellung genommen.